Ich weigerte mich, zur rechten Zeit die Notbremse zu ziehen - Interview mit Anish Giri
Anish Giri, die aktuelle Nummer 6 der Live-Weltrangliste, wechselte zu Beginn dieser Saison zur SG Solingen, nachdem er zuvor 7 Jahre lang für den SK Turm Emdetten aufgelaufen war. Beim FIDE-Weltcup in Baku kam er bis ins Halbfinale, schied dort jedoch gegen Peter Svidler aus - einen Schritt vor der Qualifikation für die nächste Weltmeisterschaft, zu der nur die beiden Finalisten fahren werden. Für schachbundesliga.de beantwortete die erst 21-jährige Nr. 1 der Niederlande einige Fragen über den Weltcup, seine Motive für den Vereinswechsel und über seine Gedanken während einer Turnierpartie.
Schachbundesliga: Mr Giri, Sie haben gerade erst das Halbfinalmatch gegen Peter Svidler beim FIDE Weltcup verloren. Wie fühlen Sie sich jetzt?
Anish Giri: Ich bin zufrieden damit, das Habfinale erreicht zu haben, aber es ist wie in dem Märchen "The Tale of the Fisherman and the Fish" [Deutsche Entsprechung: "Vom Fischer und seiner Frau"] von Alexander Pushkin: Je weiter du kommst, desto weiter möchtest du noch gelangen.
Schachbundesliga: Was genau passierte in der 1. Partie gegen Svidler?
Anish Giri: Für einen großen Kampf stand ich viel zu sehr unter Strom und weigerte mich, die Notbremse zu ziehen, als es unbedingt nötig war. Eine für mich seltene Begebenheit, aber es war nicht unbedingt der schlechteste Zeitpunkt für eine wichtige Lektion.
Schachbundesliga: In der 2. Halbfinalpartie gegen Svidler wählten Sie mit Schwarz das ultrasolide Caro-Kann gegen Svidlers 1.e4, was für viele Zuschauer überraschend kam. Botvinnik sagte einmal, dass man mit Caro-Kann nur gegen einen aggressiven Gegner auf Gewinn spielen kann. Was war Ihre Idee bei der Wahl dieser Eröffnung?
Anish Giri: Es gibt kein Rezept für ein Comeback außer, dass das Glück zu einem zurückkehrt - und das ist einfach nicht passiert. Ob Caro-Kann eine gute Wahl war oder nicht, kann man nur mit dem Sprichwort "Hinterher ist man immer klüger" beantworten.
Schachbundesliga: Sind Sie unmittelbar vor dem Beginn einer wichtigen Partie wie etwa einem Weltcuphalbfinale nervös?
Anish Giri: Nein, nervös war ich nicht, aber wie bereits erwähnt brachten mich die Art und Weise, wie das Turnier für mich verlief und dann noch die beiden Ruhetage ein wenig aus dem Gleichgewicht.
Schachbundesliga: Wie war Ihr Eindruck vom Weltcup - hinsichtlich Ihrer Partien, aber auch im Hinblick auf das gesamte Event?
Anish Giri: Mein Spiel hatte Höhen und Tiefen, aber ich glaube nicht, dass ich irgendetwas Spektakuläres gezeigt habe. Aber dasselbe kann fast über jeden der Teilnehmer gesagt werden. Außer vielleicht über Pavel Eljanov, der wahre Wunder vollbrachte. Wie fast immer ist es am Ende der Gewinner, der ein paar Mal durch die Hölle gehen muss.
Was das Turnier insgesamt angeht: Baku ist eine wunderbare Stadt, wenn man sie als Tourist besucht. Das Hotel war außergewöhnlich gut und alles verlief harmonisch.
Schachbundesliga: Kürzlich hat Magnus Carlsen verlauten lassen, dass er sich eine WM wünschen würde, in der der Weltmeister keinerlei Privilegien mehr erhält. Wie denken Sie darüber?
Anish Giri: Ich habe einmal ein sehr ausgeklügeltes System für einen WM-Zyklus vorgeschlagen, aber dieses Interview ist eher nicht die richtige Gelegenheit, darüber ausführlich zu sprechen. Was Magnus Carlsen vorgeschlagen hat, erschien mir jedenfalls eher ein Teil seiner PR-Kampagne zu sein. Oder sogar Panik nach seinen eher mäßigen Ergebnissen in der letzten Zeit, die für ihn eine neue Erfahrung sind.
Schachbundesliga: Sie haben gerade erst geheiratet (herzlichen Glückwunsch!) und Ihre Frau Sopiko ist ebenfalls eine hervorragende Schachspielerin. Wie beeinflusst Schach Ihren Alltag abseits des Brettes? Gehen Sie manchmal einkaufen oder sitzen entspannt vor dem Fernseher - und plötzlich hat einer von Ihnen beiden eine Idee, wie man gegen Nimzo-Indisch Vorteil erzielt?
Anish Giri: Herzlichen Dank für die Glückwünsche. Es ist vielleicht nicht ganz so extrem, aber da wir beide Schachprofis sind, ist Schach auch in unserem Alltag omnipräsent und daher auch häufig ein Gesprächsthema zwischen uns.
Schachbundesliga: Werden Sie manchmal während einer Partie von Gedanken "heimgesucht", die nichts mit Schach zu tun haben und die Sie dann nur schwer aus dem Kopf bekommen? Wie etwa das Gedicht vom Nilpferd im Sumpf bei Mikhail Tal oder einen Ohrwurm?
Anish Giri: Manchmal hat man in der Tat seltsame Gedanken, die einem von ganz alleine oder aus Langeweile in den Sinn kommen, aber für gewöhnlich habe ich keine Probleme damit, mich ausschließlich auf die Partie zu konzentrieren, wenn dies nötig ist. Dennoch ist Konzentration auf anhaltend hohem Nivau eine sehr wichtige Fähigkeit und Herausforderung, denn es ist fast unmöglich, dieses Niveau stundenlang gleichmäßig hoch zu halten.
Schachbundesliga: In der Schachbundesliga spielten Sie einige Jahre für Turm Emdsdetten. Was waren Ihre Gründe für einen Wechsel zur SG Solingen in dieser Saison?
Anish Giri: Ich hatte einige tolle Jahre in Emsdetten und der Klub ist wie eine Familie für mich. Leider durchlief er kürzlich eine Krise, was mich zum Wechsel zwang. Solingen hat ebenfalls ein tolles Team und wie in Emsdetten sind mehrere niederländische Spieler an Bord. Das ist ausgezeichnet, denn einerseits denken wir Niederländer, dass wir die Besten sind und andererseits erleichtert das die Reisevorbereitungen ungemein :-).
Schachbundesliga: Was war das Ungewöhnlichste oder Komischste, das Ihnen je am Schachbrett passierte? Vielleicht haben Sie eine interessante Anekdote, die Sie mit unseren Lesern teilen möchten?
Anish Giri: Ganz schlechte Frage. Es ist ein bekanntes Phänomen, dass man, wenn man aufgefordert wird, einen Witz zu erzählen, sich an keinen einzigen erinnern kann.