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Wanderkönige, Buffets und preußisches Polerio: die vierte Runde

Da waren es nur noch zwei. Nachdem Kiel und Solingen erstmals in dieser Saison Punkte gelassen haben, stehen Viernheim und Titelverteidiger Baden-Baden allein mit 8:0 Zählern an der Spitze. Am anderen Ende der Tabelle hat sich ein Quartett gefunden, das noch punkten muss.

Der vierte Spieltag:

Parham Maghsoodloo (l.) und Shakhriyar Mamedyarov (r.) nehmen Schiedsrichter Hans Brugger in die Zange. Freundschaftlich, versteht sich. | Foto: Michael Reiß

Werder Bremen – USV TU Dresden 4,5:3,5

bremen dresden

Ein schneller Schlagabtausch an den ersten beiden Brettern eröffnete das knappe Match. Anstatt sich gegen den Carlsen-Sekundanten Laurent Fressinet solide hinzustellen, ließ Liviu Dieter Nisipeanu seinen g-Bauern gegen die französische (Nationalität) Königsbastion vorschnellen – und landete einen schnellen K.o. in 21 Zügen. Allerdings litt da schon der französische (Eröffnung) Wanderkönig von Nisipeanus Nebenmann Mateusz Bartel an Atemnot.

"Bon Voyage" (siehe Plastiktüte): Nisipeanu hat seinen g-Bauern auf die Reise geschickt, Laurent Fressinet ist nicht amüsiert. | Foto: Martin Hahn
"Bon Voyage" (siehe Plastiktüte): Nisipeanu hat seinen g-Bauern auf die Reise geschickt, Laurent Fressinet ist nicht amüsiert. | Foto: Martin Hahn

Alexander Areshchenko sollte für Bremen schnell ausgleichen, was Nisipeanu für Dresden vorgelegt hatte.

Mit einem Wanderkönig hätte auch Dresdens Jens-Uwe Maiwald spielen sollen, das hätte zum halben Extra-Punkt führen können, der den Sachsen am Ende fehlte. Maiwald beschloss stattdessen, den Radius seines Monarchen auf die Felder zu beschränken, auf denen Bremens Alexander Markgraf Dauerschach geben kann.

33...Kd7, und die Engine liebt Schwarz. Verständlich allerdings, dass Maiwald Bedenken hatte und lieber zwischen e8 und e7 pendelte.
33...Kd7, und die Engine liebt Schwarz. Verständlich allerdings, dass Maiwald Bedenken hatte und lieber zwischen e8 und e7 pendelte.

Aber die Dresdner hatten ja noch ihren einstigen U16-Weltmeister Roven Vogel in der Hinterhand.

Der schickte sich an, beim Stand von 3:2 für Bremen gegen Tomy Nyback zu gewinnen. Und das hätte fürs 4:4 gereicht, hätte nicht ganz zum Schluss Bremens Jari Reuker ein Endspiel zu seinen Gunsten gedreht, das eigentlich undrehbar erschien.

 

SV Mülheim-Nord – BCA Augsburg 4,5:3,5

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Ein schwer erkämpfter Sieg für die Mülheimer, die sich trotz zwischenzeitlicher 3:1- und 4:2-Führung lange nicht in Sicherheit wiegen konnten. Mit schnellen Siegen von Valentin Buckels und Daniel Hausrath am siebten/achten Brett hatte es gut begonnen. Obwohl danach eine Partie nach der anderen remis endete, ruhten die Hoffnungen der Augsburger zu Recht auf Michael Prusikin, der Daniel Fridman am Wickel hatte, sowie auf Eduardas Rozentalis, dessen Erfahrung das Ungestüm des belgischen Supertalents Daniel Dardha auf Mülheimer Seite übertrumpfen würde.

Johannes Pitl sieht das Unheil kommen. | Foto: Martin Hahn
Johannes Pitl sieht das Unheil kommen. | Foto: Martin Hahn

Aber Augsburgs Kapitän Johannes Pitl musste von der Bande aus mit ansehen, wie Michael Prusikins gewaltige Initiative gegen die Verteidigungskunst Daniel Fridmans zum Erliegen kam. Am Ende blieb Prusikin mit Minusqualität nichts anderes, als in ein Dauerschach zu entschlüpfen, was die Augsburger Niederlage und den zweiten Mülheimer Sieg an diesem Wochenende perfekt machte.

Auch hier ein Fall von Wanderkönig: Supertalent Leonardo Costa (l.) unterlag Valentin Buckels und dessen Caro-Kann. | Foto: Martin Hahn
Auch hier ein Fall von Wanderkönig: Augsburgs Supertalent Leonardo Costa (l.) unterlag Valentin Buckels und dessen Caro-Kann. | Foto: Martin Hahn

OSG Baden-Baden – Düsseldorfer SK 6,5:1,5

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Wer hätte gedacht, dass der Kampf des Serienmeisters gegen den Aufsteiger der längste dieses Spieltags sein würde? Aber Rustam Kasimdzhanov wollte fünf Wochen nach Anatoli Vaissers 73. Geburtstag partout kein nachträgliches Geschenk machen. Mehr als 100 Züge knetete der Usbeke aus dem Rheinland ein theoretisch nicht zu gewinnendes Endspiel, um es praktisch eben doch zu gewinnen. Im 101. Zug passierte dieses:

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Dass Baden-Baden gewinnen würde, hatte freilich viel eher festgestanden. Aber ganz oben erzielten die Düsseldorfer Achtungserfolge gegen Weltklassegegnerschaft. Felix Levin war sogar nahe dran, Michael Adams den ganzen Punkt zu entreißen.

Weiter unten, am fünften Brett, traf der Düsseldorfer Michael Coenen die erstaunliche Entscheidung, Jan Gustafssons Theoriekenntnisse in etwas zu testen, für das er als Koryphäe gilt: Preußisches Polerio. Nachdem Gustafsson in einem abseitigen Stonewall am Samstag früh ins Straucheln geraten war, bewies er am Sonntag seine Fachkenntnisse in Sachen 1.e4 e5.

SF Deizisau – Aachener SV 6,5:1,5

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Den Blübaum in seinem Lauf, den hält kein Gabor Nagy auf. Dass sich die Aachener für diesen Doppelspieltag mit dem Ungarn großmeisterlich verstärkt haben, zahlte sich am Samstag in Form eines halben Punkts gegen Michael Adams aus. Am Sonntag setzte es eine Null gegen den frischegebackenen Europameister, der mit einem hübschen Finish den Deckel draufmachte.

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Ein Brett darüber entwickelt Vincent Keymer derweil seine Knetqualitäten. Dem samstäglichen Endspiel-Arbeitssieg folgte am Sonntag ein weiterer gegen den tapferen Christian Seel, der sich in ein symmetrisches Springerendspiel gerettet hatte, in dem er ein wenig passiv und zurückgedrängt dastand, aber eigentlich ungefährdet – bis ihm im 49. Zug das Übersehen unterlief, auf das Keymer spekuliert hatte.

SK Doppelbauer Turm Kiel – SF Berlin 4:4

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Den ersten Paukenschlag setzte nach vier Remisen ein Münchner in Reihen der Berliner. Max Hess hob die Stellung von Ashot Parvanyan aus den Angeln. Danach kamen zwei Ergebnisse infrage: Entweder Kiel gelingt es, ein 4:4 zu retten, oder Berlin gewinnt.

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Im Wesentlichen hing das von Berlins Arnd Lauber ab, der am achten Brett gegen Jakob Leon Pajeken signifikanten, aber nicht entscheidenden Vorteil erzielt hatte. Während Lauber drückte, war abzusehen, dass Kiels Pawel Teclaf am sechsten Brett sein Turmendspiel gewinnen würde.

Lauber versuchte sein Möglichstes, die Führung für seine Truppe wiederherzustellen, aber es sollte nicht sein. Pajeken verteidigte sein schwieriges Endspiel. Immerhin: Die SF Berlin sind die erste Mannschaft, der es gelungen ist, den Kielern einen Punkt abzunehmen.

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Hamburger SK – SK König Tegel Berlin 7:1

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In der Buffet-Wertung liegen die Berliner gewiss an der Bundesligaspitze. Was Manfred Rausch für seine Mannen und deren Gäste sonntagvormittags auffahren lässt, grenzt an die Frühstücksauswahl in einem soliden Gastronomiebetrieb. Und auch in der Legenden-Wertung mischen die Berliner mit ihrer seit Jahren gewachsenen Auswahl aus heimischen Schach-Urgesteinen ganz vorne mit.

Manfred Rausch. | Foto: Paul Meyer-Dunker/Berliner Schachverband
Manfred Rausch. | Foto: Paul Meyer-Dunker/Berliner Schachverband

Am Brett läuft es leider nicht so rund. Hamburg war mehr als eine Nummer zu groß für Stern, Rabiega&Co. Zum obligatorischen Sieg von Frederik Svane, der mit 4 Punkten aus 4 Partien GM-Norm-Kurs gesetzt hat, kam ein weiterer seines Bruders Rasmus. Der nutzte am Spitzenbrett ein taktisches Übersehen von Renè Stern mit einem hübschen Springerzug in nur scheinbar unzugängliches Terrain aus.

ds

SG Solingen – FC Bayern München 4:4

sm

Früh liefen die favorisierten Solinger einem Rückstand hinterher. Am achten Brett hatte Jonas Roseneck eine taktische Abwicklung falsch berechnet. Rafan Makiee nutzte das Übersehen – und brachte die Bayern ihrem Ziel näher, zumindest einem der beiden Favoriten an diesem Wochenende etwas Zählbares abzuknüpfen.

Die Solinger Hoffnungen ruhten vor allem auf Giri-Sekundant Erwin l’Ami, dessen Siegchancen gegen Sebastian Bogner sich früh abgezeichnet hatten. Allerdings lagen zwischen Abzeichnen und Verwerten einige Stunden Arbeit. Im 65. Zug erst war der volle Punkt unter Dach und Fach. Alle anderen Partien endeten unentschieden.

Hat gut Lachen: Erwin l'Ami (hier beim Tata Steel Chess) sicherte den Solingern einen Punkt. | Foto: Tata Steel Chess
Hat gut Lachen: Erwin l'Ami (hier beim Tata Steel Chess) sicherte den Solingern einen Punkt. | Foto: Tata Steel Chess

SC Viernheim – Münchener SC 1836 6:2

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Ganz oben und ganz unten hielten die Münchner mit den favorisierten Viernheimern prima mit. Würden nur die Bretter 1, 2, 7 und 8 gewertet – München wäre mit vier Remisen und einem 2:2 davongekommen. Wäre da nur nicht die Mittelachse gewesen, an der die Münchner der geballten Viernheimer 2600-Power wenig entgegenzusetzen hatten.

Viernheim hat sich nun den vierten Sieg im vierten Match gesichert – eine Ansage. Nach Mannschaftspunkten stehen die Südhessen gleichauf mit Titelverteidiger Baden-Baden, nach Brettpunkten liegen sie sogar vorn – und blicken wahrscheinlich jetzt schon gespannt auf den nächsten Doppelspieltag. Dann warten mit Hamburg und Kiel dicke Brocken.

Viernheims Mannschaftsführer Stefan Martin. | Foto: Michael Reiß
Viernheims Mannschaftsführer Stefan Martin. | Foto: Michael Reiß

 

  

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