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40 Jahre einteilige Schachbundesliga

Ulrich Geilmann und seine kleine persönliche Rückschau mit einem Vorwort von Markus Schäfer

Liebe Schachfreundinnen und Schachfreunde,

am 12. Oktober 1980 startete die eingleisige Schachbundesliga. Seit 1974 hatte es bereits eine in vier Staffeln aufgeteilte Bundesliga gegeben, deren Sieger in einer Endrunde den Deutschen Mannschaftsmeister ermittelten.Aus jeder dieser Staffeln qualifizierten sich die besten vier Teams für die Saison 1980/81 in der 1. Schach-Bundesliga. Zwei dieser Mannschaften sind bis heute ununterbrochen Mitglied im Oberhaus: der Hamburger SK und die SG Solingen.

Sechs verschiedene Vereine haben im Laufe der letzten 40 Jahre den Titel des Deutschen Mannschaftsmeisters errungen:

SG Solingen
SG Porz
FC Bayern München
Lübecker SV
SV Werder Bremen
OSG Baden-Baden

Die OSG Baden-Baden 1922 e.V. ist mit 13 Titeln Deutscher Rekordmeister.

Viele Persönlichkeiten haben die Schachbundesliga in den 40 Jahren ihres Bestehens geprägt. Um an diese Persönlichkeiten zu erinnern und besondere Momente aus 40 Jahren Revue passieren zu lassen, hat der Schachbundesliga e.V. ein Team von Bundesliga-Insidern als Gastautoren zusammengestellt. Unsere Autoren berichten über denkwürdige Partien, Matches und Ereignisse und laden Sie ein, persönliche Einblicke in das Geschehen auf und neben dem Brett zu erhalten. Zum Auftakt nimmt uns Ulrich Geilmann mit auf eine Reise in das Jahr 1980…

Ich wünsche Ihnen viel Freude bei der Lektüre!

Markus Schäfer
Präsident Schachbundesliga e.V.

„Die Anfänge“

Wie lange soll das jetzt her sein? 40 Jahre?! Unglaublich! Wie schnell man doch alt wird. Aber immerhin – wir feiern ein Jubiläum! Deshalb möchte ich Sie heute einmal auf eine ganz persönliche Zeitreise mitnehmen und meine Erinnerungen mit Ihnen teilen.

Wir schreiben also den 13.12.1980. Mir ist so, also es erst gestern gewesen wäre. Ich hatte mich mit meinen damaligen Vereinskollegen verabredet, einen Tag bei der neu ins Leben gerufenen Schachbundesliga im Messegebäude der Gruga in Essen zu verbringen. Wir wollten uns die Wettkämpfe anschauen und dann in unserem Klub über die eine oder andere Partie berichten.

An diesem Tag war es meine Aufgabe, die Begegnung zwischen dem TSV Schott Mainz und der SG Solingen zu beobachten. Nach Durchsicht der Mannschaftsmeldung machte ich es mir dann am ersten Brett gemütlich. Dort würden sich gleich der Exweltmeister Boris Spassky und der neue Star am deutschen Schachhimmel - Eric Lobron – zu einem Kräftemessen treffen.

Irgendwann betrat dann Boris Wassiljewitsch Spassky, der 10. Schachweltmeister, gemessenen Schritts den Turniersaal. Er war lässig gekleidet und trug – wie seinerzeit eigentlich fast immer – irgendeinen roten Pullunder. Spassky strahlte etwas aus, was ich mit meinen knapp 17 Lenzen kaum erfassen konnte. Kein Zweifel - der Mann war etwas Besonderes. Für mich umgab ihn die Aura eines Königs.

spasski

Ich beobachtete ihn, wie er lässig den einen oder anderen Spieler begrüßte, sich scherzend mit Großmeisterkollegen unterhielt und dann – wohl mit einer Tasse Tee bewaffnet - locker zum Brett schlenderte.

Da saß er nun vor mir. Kaum zwei Meter entfernt befand sich der Mann, der sich knapp acht Jahre zuvor mit Bobby Fischer einen spektakulären Schachwettkampf lieferte, wie ihn die Welt noch nicht gesehen hatte.

Ihm gegenüber setzte sich gerade ein junger Mann ans Brett, der vielleicht drei oder vier Jahre älter als ich zu sein schien. Eric Lobron. Ein cooler Typ, wie ich fand. Hatte ich den vorhin nicht sogar in der Straßenbahn gesehen?

lobron

Zu diesem Zeitpunkt hatte Lobron bereits die Deutsche Meisterschaft in Bad Neuenahr gewonnen. Kurz danach schmiss er gar sein Jura-Studium. Der junge IM war jetzt auf dem steinigen Weg, Schachprofi zu werden. Er würde schnell Großmeister werden, davon war ich überzeugt und sollte Recht behalten.

Die Spieler gaben sich kollegial die Hand. Ich war vor Ehrfurcht wie erstarrt.

Die Partie, die sie an diesem Tag spielten, habe ich nie vergessen.

Spassky,Boris V - Lobron,Eric [B08]
Bundesliga 1980 Essen, 13.12.1980
[Geilmann,Ulrich]

1.e4 d6 2.d4 g6 3.Sc3 Lg7 4.Sf3 Sf6 5.h3 Dieser Zug gehört seit dem zu meinen persönlichen Variantenbaum. Was ein Exweltmeister spielt, kann nicht so schlecht sein! 5...0-0 6.Le3 c6 7.Ld3 Sbd7 8.e5 Sd5 Bekannt war beispielweise: 8...dxe5 9.dxe5 Se8 (9...Sd5 10.Sxd5 cxd5) 10.Lc4 Da5 11.0-0 Sxe5 12.Sxe5 Lxe5 13.Ld4 Lxd4 14.Dxd4 Db6 15.Dh4 Dxb2 16.Se4 Sd6 17.Sg5 h5 18.Lb3 Df6 19.Tfe1 a5 20.a4 b5 21.Tad1 Lb7 22.g4 bxa4 23.La2 Lambert - Sigurdsson, Helsinki 1952] 9.Sxd5 cxd5 10.exd6 e5 11.dxe5 Sxe5 12.0-0  12.Sxe5 war vielleicht einen Tick besser; aber wer möchte schon einen Exweltmeister kritisieren. Es könnte dann zum Beispiel 12...Lxe5 13.c3 Dxd6 folgen. 12...Dxd6 Eine mögliche Alternative ist 12...Sxd3 13.Dxd3 Dxd6 14.c3 13.Lf4 Sxf3+ 14.Dxf3 Db6 15.Tab1 Le6 16.Tfe1 Da5 17.a3 Lxb2 18.Txe6!? Mit Angriffschancen. Der Computer bietet 18.Ld6 Lxa3 19.Lxf8 Lxf8 20.Txe6 fxe6 21.Txb7 Da1+ 22.Lf1 Kh8= an. 18...fxe6 19.Txb2 e5 20.Dg4 De1+ Weniger gut scheint 20...exf4 21.De6+ Tf7 22.Txb7± zu sein. 21.Kh2 exf4 21...Txf4 läuft wahrscheinlich auf ein Remis heraus. 22.De6+ Tf7 23.Lxg6 hxg6 24.Txb7 Dxf2 25.Dxg6+ Kf8 26.Dh6+ Kg8 27.Dg6+ Kf8= 22.Txb7 De8 23.Lb5 Dc8 24.Td7 Tf5 24...Dxc2?  25.De6+ Kh8 26.De5+ Ende 25.De2 25.Dh4 war gewiss unangenehmer 25...Tf7 26.Txf7 Kxf7 27.Dxh7+ Kf6± 25...Df8   26.De6+   26...Kh8 27.Tc7 27.Ld3 Te8 28.Dc6 Th5= 27...Td8 27...Dxa3?  28.Dd7 und aus die Maus. 28.Ld3 Tf6   28...Te8 bietet eventuelle Remischancen. 29.Dd7 Th5= 29.De5 Dd6 30.Dxd6 Tfxd6 31.Txa7 T6d7 32.Ta4 Tf7 33.Td4 Ta8 34.a4 Kg7 35.h4 h6 36.Kh3 Tfa7 Soweit ich mich erinnere, war Lobron bereits seit einigen Zügen in ziemlicher Zeitnot, sonst hätte er sicher entdeckt, dass  36...h5 das weiße Spiel am Königsflügel empfindlich stört. 37.Txd5 Tf8 37...Txa4 38.Td6 g5 39.Tg6+ Kf7 40.Txh6 bietet auch keine wirklich guten Perspektiven für Schwarz. 38.a5 Tff7 38...Tf6!? war vermutlich hartnäckiger 39.a6 Tfd7?! Nun geht's tatsächlich den Bach runter 40.Txd7+ Txd7 41.Le4 Ta7 42.Lb7 Kf6 43.Kg4 Ke5 44.c3 1-0

Nur langsam wagte ich, aus den tiefen der Schachwelt in die Realität zurück zu kehren. Was für ein Erlebnis! Sie können es mir glauben - diese Episode hat in meinem Leben unauslöschliche Spuren hinterlassen.

So wuchs zunächst meine Schachbegeisterung, auch wenn meine eigene Spielstärke da nicht in gleichem Maße mithalten konnte. Das Faszinosum Schach hatte mich ein für alle Mal gepackt. Bacillus Caissaris im Cortex Cerebri. Unheilbar! Ich konnte fortan an keinem Schachbrett mehr vorbei gehen, ohne zumindest einen kleinen Blick auf die Stellung zu riskieren.

Darüber hinaus ist mein Faible für den Besuch von Schachveranstaltungen geblieben, bei denen man den Meistern buchstäblich bei ihrer Arbeit über die Schulter schauen kann. Onlineschach fixt mich dagegen bis heute überhaupt nicht an. Für mich zählen der menschliche Faktor und die Emotionen.

Daran hat nur die Schachbundesliga Schuld!

Es kamen noch viele Jahre mit unzähligen Begegnungen. Erst wurde ich mehr oder weniger zufällig Teamchef und dann fielen mir verschiedenen Funktionen im Vorstand der Schachbundesliga e. V. in den Schoß. Dadurch lernte ich wirklich außergewöhnliche Menschen kennen; selbst Freundschaften sind entstanden. Erlebnisse, die mein Leben insgesamt reicher gemacht haben. Doch davon berichte ich dann später noch einmal.

Fotos: WIkipedia

Partie(n) zum Nachspielen: 

PARTIE(N) NACHSPIELEN:

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