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Baden-Baden wackelt, Viernheim überrollt Mülheim-Nord (2. Spieltag)

Titelverteidiger OSG Baden-Baden hat in der zweiten Runde der Schachbundesliga einen Punkt abgegeben. 4:4 trennten sich die Badener vom Hamburger SK, der nach seiner Schlappe vom Vortag Nehmerqualitäten bewies. Meisterschaftsmitbewerber SC Viernheim siegte derweil 7,5:0,5 gegen den SV Mülheim-Nord. Die Viernheimer führen jetzt mit 13 Brettpunkten ein verlustpunktfreies Sextett an der Tabellenspitze an. Teil dieses Sextetts ist ein Aufsteiger. Der SC Ötigheim gewann auch gegen den SK Doppelbauer Kiel.

Die Paarungen des zweiten Spieltags:

Beantwortete Feuer mit Feuer: Nodirbek Abdusattorov siegte beim Viernheimer 7,5:0,5 über Mülheim-Nord spektakulär. Foto: Christian Hoffmann

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Zwischen 4:4 und 3,5:4,5 schwankten die Waagschalen in einem ausgeglichenen Match, das im Wesentlichen an einer Partie hing: Alexander Areshchenko gegen Peter Michalik. Ausgangs einer gelungenen Eröffnung wollte Michalik zu viel und geriet in Schwierigkeiten. 

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23...e4, und wenn 24.dxe4, dann 24...d4 nebst 25...d3. Sehr nette Idee, funktioniert aber nur halbwegs.

Beim Stande von 1,5:1,5 und ansonsten etwa ausgeglichenen Partien sah es noch aus, als würde Areshchenko zum Sieg segeln und Matchwinner sein. Dann stand es 3:3, und es sah aus, als könne sich Michalik in eine Serie ewiger Schachs gegen Areshchenkos entblößten König retten, während die andere kritische Dresdner Partie, Gengchung Wong vs. Jari Reuker, trotz eines Bremer Mehrbauern dank der ungleichfarbigen Läufer zu halten sein sollte. 

Das war sie, aber auf dem Areshchenko-Michalik-Brett wendete sich die Lage abermals. Der Bremer König fand ein sicheres Plätzchen, dem Dresdner gingen die Schachs aus, und Bremen fuhr im zweiten Match den zweiten Saisonsieg ein, während die Dresdner sich mit null Zählern unten einordnen müssen.  

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Das ging schnell den Bach runter für den hannoverschen Klub, nachdem Robert Zelcic am siebten Brett ausgangs der Eröffnung ein taktisches Versehen ausgenutzt hatte. Sechs Bretter weiter oben träumte Hannovers Jakob Pfreundt gegen den neuen Kirchweyer Spitzenmann Denis Kadric vergeblich von Kompensation. Hrvoje Stevic am sechsten Brett nahm derweil die Qualiät nicht, gewann dafür das Zentrum, die totale Kontrolle und wenig später die Partie. 

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21.e6! und Weiß gewinnt schon fast. 21...Dxe6 22.Sd4! ist der Clou.

So ging es Schlag auf Schlag. Kirchweyhe feiert mit zwei Siegen, darunter ein kritischer gegen Dresden, die vollumfänglich erfolgreiche Einweihung des neuen Vereinsheims und das Erreichen eines ersten Meilensteins in Sachen Klassenerhalt. Wie es den Hannoveranern geht, lesen wir womöglich bald im Lichess-Blog von Jakob Pfreundt, der dort sein Unternehmen GM-Titel publizistisch begleitet.   

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Das neue Vereinsheim des SK Kirchweyhe. | via schachfeld.de/@flachspieler

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Stepan Zilka gewinnt gegen Erwin l’Ami, so viel war beim Stande von 2,5:2,5 kurz vor der Zeitkontrolle abzusehen. Es würde also ein Solinger siegen müssen, um zumindest einen Punkt zu retten. Aber wer? 

Erst schien es, als würde Pentala Harikrishna am ersten Brett diesen Job übernehmen, aber Matthias Blübaum zog noch einmal den Kopf aus der Endspielschlinge. Da ansonsten niemand anderes in die Nähe eines Sieges kam, versuchte es Aryan Tari. Immerhin erfreute sich Norwegens Nummer zwei eines Mehrbauern gegen die deutsche Nummer fünf Dmitrij Kollars. Aber das reduzierte Material und die ungleichfarbigen Läufer arbeiteten für den Deizisauer. Nach 123 Zügen des Knetens stellte Tari die aussichtslosen Gewinnversuche ein. 

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Neuzugang Jan Gustafsson verbrachte am dritten Brett der SF Deizisau ein gemütliches Wochenende mit 2x21 gespielten Zügen und zwei ungefährdeten halben Punkten. | Foto: Stefan Spiegel

Deizisau gelingt ein perfekter Start in die Saison, Solingen das Gegenteil. Die Befürchtung, nach den beiden schwierigen Auftaktbegegnungen “das Feld von hinten aufrollen” zu müssen, ist wahr geworden.  

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Wäre nicht Anton Korobov in seiner Schwarzpartie gegen Volkmar Dinstuhl mit einem schnellen Remis einverstanden gewesen, wo er gut hätte weiterspielen können, dieses hätte die erste Höchststrafe der Saison werden können. So wurde es das höchste Ergebnis der ersten beiden Spieltage. 

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21. Lxg7!, der Anfang vom Ende für den König auf g8, der 12 Züge später auf h3 erlegt werden sollte. | via chess24

Spektakulär war vor allem der Vortrag von Nodirbek Abdusattorov, der in dem Wissen um den zweischneidigen und furchtlosen Stil von Thomas Beerdsen seinen Gegner in Sachen Spektakel noch übertrumpfen wollte. Das endete mit einem nach 33 Zügen auf h3 mattgesetzten schwarzen König. Auch Parham Maghsoodloo siegte sehenswert:

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31...Txc5 - Vorsicht, vergiftet! Mihail Saltaev nahm den Turm trotzdem. Nach 32...Sf4+ 33.Kh2 De6 gab er sich geschlagen.

Mühe hatten nur Bassem Amin und Georg Meier. Amin versuchte es mit einem Bekleidungswechsel. Bei turnierordnungskonformen 20,1 Grad Celsius im Spielsaal, wie Schiedsrichterin Sandra Schmidt ermittelt hatte, zog der Ägypter sich seine Daunenjacke über. Und setzte derart mollig gewandet an, ein ausgeglichenes Endspiel mit 5 vs 5 Bauern an einem Flügel so lange zu kneten, bis es zu seinen Gunsten kippte.  

Meier hingegen musste nicht viel ändern und sich schon gar nicht umziehen. Ein wenig komfortabler stand er mit Läufer- gegen Springerpaar ohnehin. Meiers Technik und Erfahrung, die seinem 13-jährigen Gegenüber fehlten, verdichteten diese Konstellation nach und nach zu einem vollen Punkt. 

Mülheim-Nord, oje. Die Mannschaft, die in der vergangenen Saison einen Endspurt brauchte, um drinzubleiben, bastelt nach zwei Auftaktniederlagen an einer ganz ähnlichen Ausgangssituation. Viernheim hingegen steht jetzt erstmals da, wo die Truppe auch nach 15 Matches stehen will: ganz oben.

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Noch nicht lange her, da galt das Ausnahmetalent Luis Engel als die zweite große Hoffnung des deutschen Schachs. Heute mag Jurastudent Engel die große Hoffnung der deutschen Jurisprudenz sein. Beim Schach reicht es ihm, als Amateur und Hobbyspieler am Brett zu sitzen – ein Amateur, der der langjährigen spanischen Nummer eins mit Schwarz eine Lektion erteilen kann.  

Luis Engels Sieg über Paco Vallejo war nicht weniger als eine strategisch-positionelle Demonstration. Der Hamburger Jung verstand die Stellung schlicht besser als der Profi auf der anderen Seite des Brettes. Für seine Mannschaft war das die Grundlage, um nach einem verkorksten Saisonauftakt dem Deutschen Meister einen Punkt abzunehmen. 

Die Position der zweiten großen Hoffnung des deutschen Schachs hat zwischenzeitlich ein Mannschaftskamerad von Luis Engel eingenommen. Nachdem Frederik Svane am Vortag sein Team zumindest im Match gehalten hatte, bekam er es nun mit der ersten und größten Hoffnung des deutschen Schachs zu tun. Svanes Job: Mit Schwarz gegen Vincent Keymer nichts anbrennen lassen. Es sollte der entscheidende Job in der letzten noch laufenden Partie sein. 

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12...Sd7 war keine gute Idee. Nach 13.Sxe6! bekommt Weiß riesigen Angriff.

Derjenige, der als Erster andeutete, dass heute etwas geht für den Außenseiter, war Gabor Papp, der Alexander Donchenko aussehen ließ wie einen sizilianischen Schiffbrüchigen. Nicht der einzige an diesem Tag, denn der Deutsche Meister fightete zurück. Auch Julian Kramer erlitt mit seinem Sizilianer Schiffbruch. Rustam Kasimdhanov zerfetzte die schwarze Bastion. Weil außerdem Etienne Bacrot ein taktisches Übersehen von Thies Heinemann ausnutzte und den daraus entstandenen Vorteil verwertete, stand es schließlich 3,5:3,5. 

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27.Sd7!, das hatte Thies Heinemann wahrscheinlich übersehen. Ginge der trickreiche Springerzug nicht, bei Schwarz wäre alles in bester Ordnung.

Es kam auf das Duell der Hoffnungsträger an, und das war eines auf Augenhöhe. Nach 63 Zügen schlossen die Kontrahenten in einem ausgeglichenen Endspiel Frieden. Für Hamburg ein Bonuspunkt, für Baden-Baden ein Rückschlag im Kampf um die Meisterschaft.

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Nach beiderseits unkonventionell vorgetragener Eröffnung und einem inhaltsreichen Kampf besiegelte das Remis zwischen Frederik Svane und Vincent Keymer das 4:4. | Foto: Sven Noppes

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Was für ein Saisonstart für den Aufsteiger, in diesem Fall verbunden mit einem Triumph der Routine über die Jugend. Die Partie des Matches spielte Ötigheims Nummer eins Alexander Motylev, der Nachspieltipp dieses Berichts, da an dieser Stelle der Raum nicht ausreicht, um das Angriffsinferno mit Diagrammen abzubilden. Eine Schleuse zu viel hatte Jonas Buhl-Bjerre geöffnet, dann brach es über ihn hinein. 

Marius Fromm, ein anderer der Kieler Youngster, hat nun ein wenig erquickliches, aber womöglich lehrreiches Wochenende der Schachlegenden hinter sich. Nach der Samstagsniederlage gegen Michael Adams saß ihm am Sonntag der einstige Top-20-Großmeister Kiril Georgiev gegenüber. Der 57-Jährige hat 1983 in Frankreich geschafft, was Fromm 2023 in Mexiko verwehrt blieb: Juniorenweltmeister werden. 

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Georgiev demonstrierte gegen den munter attackierenden Fromm, dass so ein Sizilianer gar nicht so einfach zu versenken ist, auch wenn es beim Nachbarkampf Hamburg vs. Baden so aussah. Als sich der Pulverdampf verzogen hatte, verwaltete der Kieler ein schwieriges Endspiel, in dem er kurz vor der Zeitkontrolle den Verteidigungsfaden verlor.  

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Valentin Dragnevs entferntes Freibauernduo ließ die Bayern schon früh hoffen, dem Sieg vom Vortag einen weiteren folgen zu lassen. Der Österreicher in Diensten des FC Bayern sollte dank einer sauberen Endspielleistung einen vollen Punkt beitragen, einen von zwei, die die Münchner erzielten. 

Der andere geht auf das Konto des Neuzugangs Pouya Idani, der früh das Kommando übernommen hatte, es aber wieder abgab. Idani musste seine Partie ein zweites Mal gewinnen, was nach fast 80 Zügen vollbracht war.  

Nach zwei Auftaktsiegen gegen nominell kaum schwächere Teams sollten die Bayern eine weitere Zittersaison vermeiden können. Anders Remagen, das mit einem Zähler erst einmal unten drin steht. 

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Wenn es 3:4 gegen deine Mannschaft steht, dann musst du halt Sachen versuchen. Und Gudmundur Kjartansson hatte ja immerhin einen Mini-Vorteil, mit dem er im Endspiel 4 vs. 4 Bauern arbeiten konnte: Sein Läufer sollte etwas stärker sein als der Springer von Tomas Kraus, aber eben nur etwas, weil sich das Geschehen auf einem Flügel abspielte. 

Kjartansson konnte nicht verhindern, dass nach 60 Zügen das Brett abgeräumt war: erster Saisonsieg für den Aufsteiger Heimbach-Weis-Neuwied, während der andere Aufsteiger, MSA Zugzwang, auf ein solches Erfolgserlebnis noch warten muss. 

Einem der Münchner ist immerhin ein anderes Erfolgserlebnis zuteilgeworden: Dominik Horvath hat alle Anforderungen für den GM-Titel erfüllt und wird ihm demnächst verliehen bekommen. Glückwunsch!

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Da freut sich der gesundheitsbewusste Großmeister: lokale Öko-Äpfel aus Heimbach.

 

Nation
FRA
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